Gedanken zum Evangelium am 24. Sonntag im Jahreskreis
"Am 11. September 2001 ist schwerstes Unrecht geschehen. Von einzelnen. Von einer
Terrororganisation. Hat das die blutige Kriegsspur gerechtfertigt, die seither nicht endet? Jesus
ruft zum Verzeihen auf. Das ist scheinbar die schwächere Position. Im Kleinen wie im Großen
ist sie dennoch die einzig zukunftsträchtige", so Kardinal Schönborn.
Heute vor zehn Jahren geschah das Unvorstellbare: Zwei von Terroristen gekaperte Flugzeuge
rasten in die Twin-Towers in New York. Ein drittes stürzte sich auf das Pentagon in Washington.
Ein viertes hätte wohl das Weiße Haus selber treffen sollen. Es wurde von mutigen Insassen
vorher zum Absturz gebracht. Ein tragischer Tag, der die Welt verändert hat. Dem Terror
wurde der Krieg erklärt. Ein Krieg, der nicht enden will.
Meine erste Reaktion damals war eine ganz andere: Nicht Rache, sondern Vergebung muss die
Antwort sein. Nicht Vergeltung, sondern eine Umkehr. Der Explosion des Hasses von Seiten
fanatischer Muslime müsste eine christliche Antwort entgegengestellt werden: die des heutigen
Evangeliums: "Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen
hatte?" Als Präsident Bush stattdessen dem Terror den unbarmherzigen Krieg erklärte, war ich
entsetzt. Soll das die Antwort eines "christlichen Landes", eines "christlichen Präsidenten" sein?
Seine Reaktion mag aus dem Schock heraus verständlich sein. Die tragische Geschichte der
letzten zehn Jahre zeigt nach meiner Überzeugung, dass es die falsche Reaktion war, auch
politisch. Afghanistan, Irak, Terror ohne Ende…
Selbst das Alte Testament, dem man oft fälschlich Zorn und Rache vorwirft, spricht eine andere
Sprache als der "Krieg gegen den Terror". Heute steht in der alttestamentlichen Lesung: "Groll
und Zorn sind abscheulich, nur der Sünder hält daran fest. Wer sich rächt, an dem rächt sich
der Herr; dessen Sünden behält er im Gedächtnis. Vergib deinem Nächsten das Unrecht, dann
werden dir, wenn du betest, auch deine Sünden vergeben".
Rache ist die schlechteste Politik. Vergeltung durchbricht nie den Kreislauf der Gewalt. Haben
das die letzten zehn Jahre nicht erschütternd vor Augen geführt? Wie treffend sagt es der
alttestamentliche, jüdische Weise in der heutigen Lesung: "Der Mensch verharrt im Zorn gegen
den anderen, vom Herrn aber sucht er Heilung zu erlangen? Mit Seinesgleichen hat er kein
Erbarmen, aber wegen seiner eigenen Sünden bittet er um Gnade? Denk an das Ende, lass ab
von der Feindschaft, denk an Untergang und Tod, … und verzeih die Schuld!"
Es gibt freilich einen gewichtigen Einwand: Politik folgt anderen Gesetzen! Ja, das Leben
überhaupt spielt sich anders ab. Wer verzeiht, zieht den Kürzeren. Wer nicht sein Recht gegen
das Unrecht einfordert, wird über den Tisch gezogen. Das stimmt – und stimmt doch nicht! Das
Recht muss das Recht bleiben. Unrecht muss beim Namen genannt werden. Am 11. September
2001 ist schwerstes Unrecht geschehen. Von einzelnen. Von einer Terrororganisation. Hat das
die blutige Kriegsspur gerechtfertigt, die seither nicht endet? Jesus ruft zum Verzeihen auf. Das
ist scheinbar die schwächere Position. Im Kleinen wie im Großen ist sie dennoch die einzig
zukunftsträchtige.