Die Mafia und die organisierte Kriminalität
Die Mafia unterscheidet sich von anderen Formen der organisierten Kriminalität und kriminellen
Vereinigungen in ihrer Struktur: Die Mafia sizilianischen Ursprungs besteht aus so genannten
Familien – wobei es sich hier nicht um Familien im engeren Sinne einer reinen
Blutsverwandtschaft handelt, sondern um einen engen, streng hierarchisch gegliederten
Gruppenverband aus Mitgliedern sizilianischer Herkunft – die einem Codex folgen. Dessen
Regeln hat jedes Familienmitglied genau einzuhalten; Verstöße, insbesondere der Omertà,
wurden in der Vergangenheit in der Regel mit brutalen Mitteln (bis hin zu Mord) geahndet.
Die Mafia ist vor allem auch eine patriarchale Organisation. Frauen haben keinen Zugang zur
Hierarchie der Mafiafamilien, die Mitglieder sind ausschließlich Männer. Jede Mafiafamilie hat
ein Oberhaupt, dem jedes Familienmitglied zu absolutem Gehorsam verpflichtet ist. Diesen
Anführern kann wiederum ein Oberboss („capo dei capi“ bzw. „capo dei tutti capi“, Boss der
Bosse) vorstehen, der uneingeschränkte Macht über alle Familien ausübt. Die Hierarchie der
Mafia ist im Artikel Cosa Nostra beschrieben.
Im Fall von Italien war augenscheinlich der Faschismus unter Mussolini ein Gegner der Mafia
und zwar der zugleich radikalste und erfolgreichste. Durch die Anwendung der totalitären
Staatsordnung gelang es hier, die Mafia innerhalb weniger Jahre bis zur Bedeutungslosigkeit
zurückzudrängen. Als Kehrseite dieses Erfolges und zugleich wichtig zur Präzisierung des
Phänomens Mafia tritt der Faschismus der Mafia weniger als Gegner, sondern vielmehr ein
ungleicher Konkurrent gegenüber. Diese „Mafia-Bindung“ totalitärer Staaten wird auch sichtbar,
wo, im umgekehrten Fall, beim Zusammenbruch nicht-demokratischer Regime (wie den Staaten
des ehemaligen Ostblocks) eine zum Teil rasante Entwicklung der Mafia zu beobachten ist.
Auffällig in Erscheinung treten dabei insbesondere frühere Funktionäre aus Geheimdienst,
Partei und der Staatswirtschaft.
Die Besonderheit der Mafia, also die Verschmelzung von organisierter Kriminalität und Staat, ist
nur möglich in dem Maß, wie sie eine verbreitete, im Volk tief verankerte, Mentalität ausdrückt.
Ihr Eindringen in die Regierung beschreibt, am Fall von Italien, Violante (in den Neunziger
Jahren Chef der Anti-Mafia-Kommission): „Die Mafia versucht immer mehr, direkt in die Politik
einzudringen und stellt sogar ihre eigenen Kandidaten. Daher muss man die Augen offen halten
und scharf reagieren“ … „Für die Mafia ist es nicht so sehr das Problem, Verbindungen mit
nationalen Politikern zu finden, die Mafia will zu Geld kommen. Daher ist es für die Cosa Nostra
wichtig, auch auf lokaler und regionaler Ebene Politiker in die Institutionen einzuschleusen. Alle
Parteien müssten sich mit der Gefahr der Mafia-Verstrickung auseinandersetzen.“
Eine im Volk verbreitete Haltung gegen staatliche Ordnung dringt einerseits in alle Instanzen
öffentlich sichtbaren politischen Lebens, andererseits organisiert sie hierarchisch gegliederte
Entscheidungsgremien, einschließlich ausführender Organe. So berichtet Vincenzo Calcara
vom Tag seiner rituellen Aufnahme: „Die Cosa Nostra erkennt die Autorität des Staates nicht an,
zu dem sie immer im Gegensatz stand und stehen wird. Wir kümmern uns nicht um den Staat.
Unsere Heimat ist die Mafia-Familie, die wir bis zum letzten Blutstropfen verteidigen müssen“
Ab einem bestimmten Punkt der Akkumulation ökonomischer Ressourcen aus Kriminalität wird
der Aufbau von Strukturen zur Geldwäsche zum strategischen Ausgangspunkt der
gesellschaftlichen und internationalen Weiterentwicklung von der klassischen zur modernen
Mafia. Dabei streift sie die letzten Reste des Anscheins ihrer „archaischen Züge” ab. Die Mafia
infiltriert die Wirtschaft eines Landes und schließlich die internationalen Finanzmärkte als
„sauberer Investor”. Geht die Infiltration weit genug, wird die Mafia in den prädestinierten
Regionen zum Wirtschaftsfaktor, der den staatlich kontrollierten überragen kann.
Die Gegenleistungen der Mafia bestehen zum einen aus gemeinschaftlicher Art wie
beispielsweise dem Bau von Krankenhäusern mit kostenloser medizinischer Versorgung und
sonstigen sozialen Aktivitäten zum Wohle der sie unmittelbar umgebenden Umwelt, wodurch die
Mafia als ernsthafter Konkurrent zu einem Staat auftritt, der soziale Gemeinschafts-leistungen
entweder nicht erbringen kann oder dazu nicht gewillt ist.
Derartige Aktivitäten sind etwa vom Medellin-Kartell, aber auch von Organisationen wie der
Cosa Nostra und der ’Ndrangheta bekannt. Hierdurch wird die Solidarität der Bevölkerung mit
der Mafia angestrebt. Weitere Gegenleistungen bestehen aus persönlicher Vorteilsverschaffung,
etwa bei der Verteilung staatlicher Bauaufträge oder bei der Besetzung von Stellen im
öffentlichen Dienst. Als Ergebnis der Unterminierung beobachtbar ist der wirtschaftliche und
verwaltungstechnische Rückfall hinter andere Landesregionen und in Folge die Abwanderung.
In Folge wiederum sind Wirtschaftshilfen üblich und damit die Stärkung der Mafia, die die
Verwaltung dieser Hilfen je nach ihrem Einfluss kontrolliert.
In einem Bericht des zweitgrößten italienischen Handels- und Unternehmerverbandes,
«Confesercenti», vom 22. Oktober 2007 im Corriere della Sera wird die Höhe der jährlichen
Schutzgelderpressung auf 40 Milliarden Euro geschätzt. Dem Bericht zufolge sollen in Sizilien
sieben von zehn Unternehmern Schutzgeld an die Mafia zahlen, in Kalabrien sind es die Hälfte
aller Unternehmen. Durch die Kooperation vieler Großunternehmen ist die Mafia in diesen
Gebieten zum Monopolisten geworden. Supermärkte zahlten rund 5.000 Euro pro Jahr an die
Mafia, Bauunternehmen pro Baustelle rund 10.000 Euro.
„Der Schraubstock der Mafia hat bewirkt, dass von 2004 bis 2006 rund 165.000 kommerzielle
Aktivitäten eingestellt wurden und 50.000 Hotels dichtgemacht haben.“
– Handelsblatt vom 23. Oktober 2007
Die Anzahl der von Schutzgelderpressung geschädigten Händler wurde 2007 auf etwa 160.000
pro Jahr geschätzt, rund 150.000 seien auch Opfer von Wucherern. Die Regierung Prodi
kündigte daraufhin eine Reihe von neuen Gesetzen an, mit denen z. B. eine leichtere
Enteignung von mafiabeherrschten Betrieben möglich werden soll.
Heute ist „Mafia” ein internationales Synonym für organisierte Kriminalität. „Mafia” wird
gleichgesetzt mit gewalttätigen und verschworenen Geheimgesellschaften und kriminellen
Klans, die sich in der Prostitution, dem Menschenhandel, dem Drogenhandel betätigen und die
ihre Einkünfte aus Erpressung, insbesondere der Schutzgelderpressung, dem illegalen
Glücksspiel und Subventionserschleichung bzw. Subventionsbetrug bestreitet. Lohnendes
„Geschäftsfeld” ist weiterhin die kriminelle Unterwanderung von legalen Wirtschaftssektoren: der
Bauwirtschaft, der Wohnungswirtschaft, der Abfallentsorgung, der Gastronomie, dem offiziellen
Bank- und Finanzwesen. Allein in Italien soll die Mafia schätzungsweise 100 Mrd. Euro jährlich
„erwirtschaften” – doppelt soviel wie der Autohersteller Fiat (Stand: 2006). Die „Gewinne”
versucht die Mafia in den normalen Wirtschaftskreislauf einzubringen und so zu legalisieren.
Trotz zahlreicher wichtiger Verhaftungen bildet sich innerhalb der sizilianischen Cosa Nostra
immer wieder eine neue Führungsspitze. Als aktueller mutmaßlicher Boss gilt der seit 1993
wegen Mitgliedschaft zur Mafia gesuchte Matteo Messina Denaro.
Quelle: Wikipedia, die freie Enzyklopädie (dort befinden sich weitere
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