US-Depeschen über Herrscherclan
Gaddafis zerstrittene Sippe
Sie zanken um Milliarden und politischen Einfluss: Die Kinder des
libyschen Diktators sind sich spinnefeind. Die von WikiLeaks
veröffentlichten US-Depeschen zeichnen ein erschreckendes Bild vom
Innenleben des Gaddafi-Clans - von Gier, Gewalt und Intrige.
Berlin/Tripolis - "Inkompetent", "nur interessiert an verschwenderischem
Lebensstil" oder "blutdürstig" und "gewalttätig". Diese Attribute tauchen in US-
Depeschen auf, die in den vergangenen Jahren von Tripolis nach Washington
gekabelt wurden.
Berichte über Angriffe auf Hotelbedienstete, Trinkgelage und Attacken gegen
Polizisten in Italien, über zu schnelles Autofahren in Paris - immer wieder
waren die Söhne des libyschen Diktators Gaddafi in der Vergangenheit in die
Schlagzeilen geraten. Wie zerrüttet der Gaddafi-Clan tatsächlich ist, und wie
sehr die Diktatorenkinder der Verschwendung frönten, während das eigene
Volk in Armut lebt - das zeigen detailliert US-Kabel, die von der Internet-
plattform WikiLeaks veröffentlicht wurden. Die Depeschen zeichnen auch ein
Bild der Feindschaft, der Rivalitäten der Gaddafi-Söhne untereinander.
Besonders eindrücklich ist eine Schilderung aus dem Februar 2010: Unter
Berufung auf einen "örtlichen politischen Beobachter, der Zugang zum
innersten Kreis des Gaddafi-Regimes" habe, kabelten im Februar 2010
Mitarbeiter der US-Botschaft in Tripolis Einschätzungen über die
Herrscherfamilie. Der Gaddafi-Clan befinde sich in einem "Spiralsturz" und
versuche nun, die immer neuen Gerüchte und Berichte über das Lotterleben
der eigenen Sprösslinge zu stoppen. Man wolle die Ehre der Familie
verteidigen, so der US-Diplomat unter Berufung auf seine Quelle - denn die
Gaddafis hätten in den vergangenen Monaten örtlichen Beobachtern "genug
Stoff für eine libysche Seifenoper geliefert".
Streit um angebliche Prügelattacke gegen Ehefrau
Im Zentrum der Skandale stehen besonders zwei Söhne des Herrschers:
Neujahr 2009 hatte der viertälteste Gaddafi-Sohn Muatassim auf der Karibik-
Insel St. Barth gefeiert. Für den arabischen Jetset nichts Ungewöhnliches.
Allerdings hatte er sich die Party extrem viel kosten lassen. Für ein
Privatkonzert lud er die US-Sängerin Mariah Carey auf die Insel und zahlte ihr
Berichten zufolge eine Million Dollar.
Im nächsten Jahr wiederholte Muatassim das kostspielige Event - nur mit
anderer Besetzung. Zum Jahreswechsel 2009/2010 durften die US-Stars Usher
und Beyoncé für ihn singen. Es soll Alkohol in rauen Mengen geflossen sein.
Dem Beobachter zufolge, der den US-Diplomaten in Libyen Auskunft gab,
sorgten diese Berichte für großen Unmut in der libyschen Bevölkerung. Das
Ansehen des Landes werde beschädigt, so die Befürchtung.
Die Presse war nicht gut für die Gaddafis in diesen Wochen. Einige Tage bevor
die Gelage in der Karibik publik wurden, erregte ein weiterer Vorfall Ende 2009
weltweit Aufsehen: Gaddafi-Sohn Hannibal soll seine Frau Aline in
Großbritannien körperlich misshandelt haben. Beobachter erzählten US-
Diplomaten, dass Aline einige Woche vor dem angeblichen Vorfall in einem
Hotel in London damit gedroht habe, Hannibal zu verlassen. Als Safiya,
Hannibals Mutter, davon gehört habe, soll sie ihre Schwiegertochter gedrängt
haben, nach Tripolis zurückzukehren. Sie bekomme dafür, was immer sie wolle,
heißt es in der Depesche. Auch Hannibals Schwester soll zur Klärung der Lage
nach London gereist sein und Aline beschworen haben, bei der Polizei
auszusagen, sie haben sich die Verletzungen bei einem Unfall zugezogen.
Die US-Kabel berichten ferner von einem Streit zwischen Muammar al-Gaddafi
und seinem Sohn Saadi. Saadi war demnach im Sommer 2009 gegen den
Willen des Diktators nach Rom gereist. Gaddafi soll außer sich vor Wut
gewesen sein, dass Saadi aus dem Land ausreisen durfte, obwohl bekannt war,
dass er es ihm untersagt hatte.
Das Ergebnis des Zwists: Ein großes Familiengericht Mitte August 2009, bei
dem die Konflikte beigelegt werden sollten.
System des Misstrauens
Hannibal, Saadi und Muatassim waren in die Schlagzeilen geraten - ein anderer
hatte sich in den turbulenten Wochen in den Jahren 2009 und 2010
zurückgezogen. Saif al-Islam, jener Filius Gaddafis, der Anfang der Woche im
Fernsehen dem Volk Reformen versprach und gleichzeitig martialisch drohte. Er
gilt seit längerem als Favorit für die Nachfolge Gaddafis - und ist deswegen
Konkurrent seines Bruders Muatassim.
Während seine Geschwister und seine Mutter eilig versuchten, Skandale zu
vertuschen, arbeitete Saif laut US-Depeschen daran, sich in der Öffentlichkeit
von den anrüchigen Machenschaften seiner Brüder abzugrenzen. Er habe sich
dem Familiengewirr entzogen - reiste zur Jagd nach Neuseeland und Algerien
und brachte gleichzeitig Hilfsprojekte für Haiti voran. Bei jungen Libyern soll
sich Saif deshalb zum Hoffnungsträger entwickelt haben, heißt es in den
Depeschen der US-Diplomaten. Er werde von ihnen als gebildet und kultiviert
beschrieben. Als jemand, der eine bessere Zukunft für das Land wolle.
Es gebe einen immer größeren Kontrast zwischen dem "respektablen,
kultivierten" Saif und seinen Geschwistern, die als "verwöhnt und rüpelhaft"
wahrgenommen würden - heißt es in den Kabeln. Eine Depesche vom
Dezember 2009 beschreibt Saif als Hoffnungsträger der Wirtschaftselite des
Landes. Demnach kabelte die US-Botschaft in Tripolis, zahlreiche führende
libysche Geschäftsmänner sähen Saif als logischen Nachfolger Muammar al-
Gaddafis - aufgrund seiner westlichen Bildung, seiner Reformagenda.
"Ein Teufel, den du kennst"
Auch weil Saif häufig in der Öffentlichkeit auftrete, halten führende
Geschäftsleute ihn als Nachfolger für geeignet. Ein Geschäftsmann sagte US-
Diplomaten: "Ein Teufel, den du kennst, ist besser als einer, den du nicht
kennst." Ein anderer Industrievertreter charakterisierte Muatassim, den sein
Vater zum nationalen Sicherheitsberater gemacht hatte, als "blutdürstig" und
"gewalttätig".
Saif hege tiefes Misstrauen gegen seine Geschwister. Er soll ein ganzes Netz
von Informanten aufgebaut haben, die ihm täglich Berichte über die Aktivitäten
seiner Geschwister liefern.
Tatsächlich soll auch Saif al-Islam dem Playboy-Leben nicht abgeneigt gewesen
sein. Der britische "Guardian" zitiert eine Depesche, wonach er fortdauernd
Frauengeschichten habe und ausschweifende Partys feiere. Im Gegensatz zu
seinen Brüdern habe es Saif einem anderen Kabel zufolge aber geschafft, die
internationale Presse auf seiner Seite zu halten - es gelinge ihm, heißt es dort,
ein "reifes, menschenfreundliches" Bild von sich zu zeichnen. Saif müsse nun
nur noch von seinen "unreifen Freunden" loskommen, die schlechten Einfluss
auf ihn hätten, geben libysche Beobachter US-Diplomaten gegenüber zu
bedenken.
Verschwendungssucht und kriminelle Machenschaften - der Gaddafi-Clan war
immer mehr in die Schlagzeilen geraten. Bereits im September 2009 hatte die
US-Botschaft in Tripolis die wachsenden Spannungen zwischen den Gaddafi-
Geschwistern beschrieben. Eine Serie von Ereignissen lege nahe, dass die
Konflikte in jüngster Zeit schärfer geworden seien, dass sich Saif gegen seine
Brüder Muatassim, Hannibal und Saadi, gegen seine Schwester und "vielleicht
auch gegen seine eigenen Mutter" stelle. Es gebe Streit, weil Saif anders als
seine Geschwister häufig in der Öffentlichkeit auftrete, weil er zudem
wirtschaftliche Reformen anstrebe, die den Interessen seiner Geschwister
schaden würden.
Zugriff auf die Gewinne der Ölgesellschaften
Denn um ihr Auskommen zu sichern, zweigten die Gaddafis regelmäßig einen
Teil der Erlöse der staatlichen Ölgesellschaft ab, berichteten US-Diplomaten
2006 nach Washington. In einer Depesche vom Mai des Jahres findet sich eine
Passage, wonach der Gaddafi-Clan über die Aufteilung des riesigen
Geschäftsimperiums heftig zerstritten sei, die Mitglieder mitunter offen
gegeneinander "kämpfen" würden.
Gaddafi und seine Angehörigen hätten "direkten Zugang zu lukrativen
Geschäftsdeals", heißt es in der Depesche. Der Clan habe "starke Interessen im
Öl- und Gas-Sektor, an Telekommunikation, Infrastruktur, Hotels, Medien und
Konsumgütern", kabelten die Diplomaten damals nach Washington. Gaddafis
Sohn Saif al-Islam habe über die sogenannte "One-Nine-Gruppe" Zugriff auf
die Ölindustrie. Gaddafis Tochter Aischa Muammar soll enge Verbindungen zu
den Branchen Energie und Bau haben, der älteste Sohn Mohammed zu
Telekom- und Internetanbietern
von Anna Reimann, 23.02.2011
Quelle:  Spiegel online
              http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,747209,00.html