P3 - eine Geheimloge greift nach der Macht
Abhörprotokolle bringen Unglaubliches ans Licht: Ein Geheimbund korrupter
Politiker, Richter und Unternehmer wollte Italien bis in die höchsten Ebenen
unterwandern.
Die jüngste Affäre um einen korrupten Geheimbund hat in Italien Wirbel in Politik und Justiz
ausgelöst. Mehrere Männer, die Regierungschef Silvio Berlusconi nahestehen, sind unter
Verdacht, der Geheimloge mit dem Namen "P3" anzugehören.Gerade zurückgetreten ist in dem
Zusammenhang der Wirtschaftsstaatssekretär Nicola Cosentino. Italiens oberster Mafia-
Ermittler, Piero Grasso, sagte der Zeitung La Repubblica: "Die Korruption scheint heute dem
Erhalt eines kriminellen Netzes zu dienen, in dem es einen derart komplizierten Austausch von
Gegenleistungen gibt, dass er nicht in unsere juristischen Modelle passt."
Auf den P3-Skandal scheint dies besonders zuzutreffen. Was aus den 15.000 Seiten
Abhörprotokollen der Carabinieri bekannt wurde, weist auf weit mehr als Bestechung hin.
Es sieht so aus, als habe ein Kreis von Politikern, Unternehmern mit Mafia-Verbindungen und
hohen Richtern versucht, Einfluss zu nehmen auf Regionalwahlen, Richterbesetzungen und
sogar das Verfassungsgericht.
Geheimlogen haben Tradition
Die Staatsanwaltschaft in Rom ermittelt wegen "Bildung einer geheimen Vereinigung mit dem
Ziel, Verfassungsorgane zu beeinflussen". Dieses Delikt war formuliert worden zum Verbot der
berüchtigten Geheimloge Propaganda Due (P2) - daher der Begriff P3 für die neue Affäre. P2
hatte vor allem in den siebziger Jahren in Italien Politik, Militär, Geheimdienste und Banken
unterwandert und mit der Mafia kooperiert.
Unter denen, die jetzt direkt oder als Helfer zu P3 gehören sollen, sind außer Ex-Staatssekretär
Cosentino der nationale Koordinator der Regierungspartei PDL, Denis Verdini, und der wegen
Mafia-Beihilfe zweimal zu Haft verurteilte PDL-Senator Marcello Dell'Utri. Justizstaatssekretär
Giacomo Caliendo soll mit dem Kreis ebenso kooperiert haben wie der oberste Richter-
Kontrolleur im Justizministerium, Arcibaldo Miller. Alle bestreiten die Vorwürfe.
Ebenso unter Verdacht steht der Unternehmer Flavio Carboni, bei dem die Ermittlungen ihren
Anfang nahmen. Er sitzt trotz seiner 78 Jahre und einer Herzerkrankung in U-Haft. Bereits gut
zwei Dutzend Ermittlungsverfahren oder Anklagen hat er hinter sich.
Verurteilt wurde er nur wegen seiner Rolle beim Zusammenbruch der Bank Ambrosiana, die
Geldwäsche für P2 betrieb. Zudem stand er wegen Beteiligung am Mord an Ambrosiana-Chefs
Roberto Calvi vor Gericht.
Verfassungsrichter im Visier
19.07.2010
Laut der neuen Ermittlungen wollte Carboni mit Bestechung und Druck auf die
Regionalregierung Sardiniens erreichen, dass er dort in Naturschutzgebieten Windkraftanlagen
bauen kann.
Auch plante er Hotel-Casinos, in denen, wie vermutet wird, Mafiageld gewaschen werden
sollte.Bei der Untersuchung dieser Vorhaben stieß die Polizei auf weitere mutmaßliche
Aktivitäten von P3.
Eine sollte im Herbst 2009 das Immunitätsgesetz retten. Besonders Berlusconi brauchte dessen
Schutz, um Prozessen zu entgehen. Den Ermittlungen zufolge versuchte der Zirkel um Verdini
und Carboni mit Hilfe des inzwischen pensionierten Chefanklägers des Kassationsgerichts auf
Verfassungsrichter einzuwirken.
Die höchsten Richter kippten das Gesetz jedoch. Gelungen zu sein scheint jedoch der P3-Plan,
ihren Favoriten in Mailand als Vorsitzenden des Oberlandesgerichts zu platzieren.
Der im Februar installierte Alfonso Marra soll dann darauf eingewirkt haben, dass eine
zweifelhafte PDL-Liste zur Regionalwahl in der Lombardei zugelassen wurde. Dazu wird an
diesem Montag der Regionspräsident vernommen. Mit Marra befasst sich der oberste
Richterrat.
Anklage gegen Mafia-Verdächtigen verhindert?
Der P3-Zirkel soll auch für den Ex-Staatssekretär Cosentino tätig geworden sein. Cosentino
wollte für die PDL im März Regionspräsident von Kampanien werden. Seine Kandidatur kam
jedoch nicht zustande, weil er unter Mafia-Verdacht stand, und die Staatsanwaltschaft
beschloss, ihn festzunehmen.
Über Verbindungen zu hohen Richtern soll der P3-Zirkel aber erreicht haben, dass Cosentino
nicht in Haft kam. Außerdem ist P3 offenbar Urheber eines Schmutzdossiers, das den statt
Cosentino aufgestellten PDL-Kandidaten in Kampanien diffamieren sollte.
In ihren Telefonaten erwähnen die Mitglieder des Zirkels den Veröffentlichungen nach immer
wieder einen "Cesare". Es wird spekuliert, dieser Cäsar sei Berlusconi. Dessen Anwalt sagt
dazu, diese Verbindung sei lächerlich, Berlusconi habe von alldem nichts gewusst. Dennoch
verstärkt die Affäre die Konflikte im Regierungslager.
Berlusconi hat Cosentino für unschuldig erklärt und hält an dem auch anderweitig belasteten
Parteikoordinator Verdini fest. Das verärgert den PDL-Flügel um den Abgeordnetenpräsidenten
Gianfranco Fini. Die "Finiani" vertreten die Linie, dass Leute unter schwerem Verdacht in
Regierung und Parteispitze nichts zu suchen haben.
2010-07-19
Von Andrea Bachstein
Quelle: www.sueddeutsche.de/politik/italien-wie-eine-geheimloge-nach-der-macht-griff-
9.07.2010